Thielicke: Das Gleichnis vom Schatz im Acker und von der köstlichen Perle

Abermals ist gleich das Himmelreich einem verborgenen Schatz im Acker, welchen ein Mensch fand und verbarg ihn und ging hin vor Freuden über denselben und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.

Abermals ist gleich das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte. Und da er eine köstliche Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie. Matthäus 13, 44-46

Man kann nicht sagen, dass die Menschen der Bibel alle über den gleichen Leisten geschlagen wären und dass es sich immer um denselben Typus handelte: um Leute mit besonderen religiösen Erlebnissen oder mit einer Frömmigkeit, die wir halb befremdet, halb bewundernd zur Kenntnis nehmen müssen, Leute mit einer besonderen religiösen Antenne, die wir heutigen Menschen nicht zu besitzen meinen. Im Gegenteil, die Menschen der Bibel verraten einen solchen Reichtum an Typen, Veranlagungen und Charakteren, dass sie so bunt gemischt sind wie das Leben selbst.

Wie groß ist allein die Spanne zwischen dem glaubensmutigen, von Natur ein wenig forschen Petrus, dem selbstquälerischen Skeptiker Thomas und dem an allem irre werdenden und furchtbar scheiternden Judas. Und so ist es überall mit den Menschen der Bibel, wo immer wir ihnen begegnen mögen: Auf der einen Seite steht der reiche Jüngling, der nach Erfüllung seines Lebens sucht und sie im entscheidenden
Augenblick doch nicht findet. Und da ist auf der anderen Seite der Bauer unseres Gleichnisses, der gar nichts sucht – und nichts zu suchen, das ist sein Sinn -, der nur seine tägliche Routine-Arbeit verrichten will und der dabei wider Erwarten »alles« findet.

Irgendwo in diesem reichen Spiel der Typen, Charaktere und Schicksale bist auch du und bin ich vertreten. Fragen wir also, was denn von diesem Bauern und von diesem Kaufmann in uns ist.

Wie hat der Bauer denn das Reich Gottes gefunden?

Das erste, was wir bemerken, ist, dass das Reich Gottes verborgen ist und dass Gott nicht auf der Straße liegt. Im Grunde ist dies ja immer das größte Ärgernis, dass Gott so wenig Wesens von sich macht, dass er nach außen so wenig und schon gar nicht eindeutig in Erscheinung tritt, daß man so gar nicht sagen kann – was man doch von jedem Baum, von jedem Auto sagen kann: “Siehe, da ist er, da ist es!” Ein Pfund Rindfleisch macht eine gute Suppe. Das steht bombenfest. Aber was steht bei Gott bombenfest?

Oder ist es nicht eine allzu windige Angelegenheit, ist es nicht ein Appell an unsere Gutgläubigkeit, wenn Gott nur im Wagnis des Glaubens für uns dasein will und wenn er sich in der Zone des Unkontrollierbaren aufhält? Eine Rindfleischsuppe und Gott: O ja, auch eine Trivialität kann manchmal ins Herz des Problems treffen. Das gilt auch von diesem Gassenhauer der Atheisten.

Einmal wollte einer dem Herrn Christus auf die Straße verhelfen und wollte dafür sorgen, dass ihn alle sehen könnten. Er wollte ihm Fahnen und Hoheitszeichen, er wollte ihm Publizität verschaffen. Aber der eine, der das wollte, war der Teufel; und wahrlich, sein Vorschlag, dass Christus auf die Straße gehen und sich auf den Straßen sehen und finden lassen solle, war überaus verlockend. Die Jünger hätten gejauchzt, denn ein wenig Glanz von dieser sichtbaren, unbezweifelbaren Herrlichkeit wäre auch auf sie gefallen. Niemand hätte sie zu verachten gewagt, wo sie die Minister eines so großen Herrn, wo sie Ehrenbürger einer Theokratie gewesen wären. Und auch Johannes hätte keine Botschaft aus dem Gefängnis zu schicken brauchen, um sich zu erkundigen, ob dieser Jesus wirklich der sei, auf den er gewartet habe und in dem das Weltenschicksal sich erfüllen solle. Er hätte nicht zu zweifeln brauchen – wenn Christus auf die Straße gegangen wäre. Aber siehe, er ist einen anderen Weg gegangen. Er ist durch die verborgenste Tür der Welt hereingekommen, die sich denken lässt. Er wurde als armes Kindlein in einem Provinznest am Rande der Welt geboren. Er hat die Weinenden getröstet, die Kinder gesegnet und hat den Verzweifelnden seine Hand aufgelegt. Diese Armen, Kranken und Elenden findet man aber nicht auf jener Via triumphalis, auf der Könige einzuziehen pflegen. Sie stehen und hocken an den dunklen und verborgenen Ecken, sie hausen in den Dachstuben und in den Baracken der Armen. Manchmal freilich auch in der Einsamkeit eines Chefzimmers.

Warum ist er diesen Weg gegangen, statt dass er die Macht und öffentlichkeit ergriff, die ihm offen standen? Jesus wollte nicht, dass die Menschen überwältigt würden von dem Marschtritt der zwölf Legionen Engel, die er hätte alarmieren können, als er am Kreuze hing, und die er eben nicht gerufen hat. Er wollte vielleicht nicht einmal, wenn wir an das vergangene Jahrtausend denken, dass es so etwas gäbe wie eine christliche Kultur und christliche Staaten, durch die alle Menschen automatisch, einfach durch ihre Geburt und durch die selbstverständliche kirchliche Sitte, in den großen Sack des Christentums und der christlichen Taufscheinbesitzer eingepackt würden, auch wenn sie gar kein persönliches Verhältnis zu Jesus von Nazareth besaßen. Und vielleicht ist es die Güte Gottes, dass uns das alles unter den Händen zerbrach und zerbrechen will. Jesus wollte das alles jedenfalls nicht. Er will kein Pauschalchristentum der großen Masse, er will keine Propagandaorgien der Kirche. Sondern er will ganz still und ganz schlicht jedem einzelnen von uns begegnen und ihn anschauen. Und indem wir dann ganz allein und still vor ihm stehen, vor ihm, der gleichsam von innen erleuchtet ist durch die Fülle Gottes, die in ihm wohnt, merken wir plötzlich, dass wir Gott verloren haben und dass wir heimatlos geworden sind und dass ein Abgrund zwischen uns und unserem Vater gähnt. Indem uns das vor seiner stillen Gestalt deutlich wird, merken wir zugleich, wie er ja in diesem Abgrund steht und uns hinüberhilft und dass sein Kreuz wie eine Brücke darübergelegt ist. Wir sehen, wie er mit uns leidet und stirbt und die Sünde trägt, wie er in allem einer der Unseren ist und unser Kamerad im Tod und im Abgrund wird.

Hätte er das alles als König an der Spitze jener zwölf Legionen Engel gekonnt? Hätte er das vermocht, wenn er im Purpurmantel über die großen Paradestraßen geschritten, wenn er prominent und ein Star gewesen, wenn hinter ihm der dröhnende Rhythmus seiner marschierenden Kolonnen zu hören gewesen wäre?

Nein – das konnte, er nur, wenn er sich so tief herabließ, dass jeder unter uns sagen muss: Ich bin arm, aber dieser mein Bruder ist noch ärmer; ich muß in die Todesnot, aber dieser mein Bruder hat sie noch tiefer geschmeckt; ich fühle mich von Gott verlassen, aber dieser mein Bruder hat die Bitternis jener Trennung noch herber erduldet und lauter in die Nacht von Golgatha hinausschreien müssen, als ich es in meinen dunkelsten Stunden je brauchte.

Deshalb also ist Jesus nicht als messianischer König mit jenen zwölf Legionen Engeln durch die Welt gezogen. Dann hätten wir ihn alle nur von weitem und über jene sorgfältige Absperrung und Distanzierung hinweg, mit der sich das Große dieser Welt zu umgeben pflegt, erblicken und grüßen können. Darum ist er der arme Zimmermannssohn gewesen wie tausend andere auch. Deshalb ist er gestorben wie alle seine Menschenbrüder auch. Deshalb hat er sich nichts erspart, was die anderen auch tragen müssen. Irgend etwas in uns allen ist ja erbarmenswert, auch wenn wir nach außen eine ganz passable Figur machen. Irgendwo stehen wir alle einsam im Regen. Und eben in dieser Schicht unseres Ich, wo wir arm sind, ist Jesus unser Bruder.

Darum ist er auch – das ist nun die andere Folge – der verborgene, der heimliche König geworden, so verborgen, dass man ihn übersehen kann, dass man über den Acker von Nazareth, Bethlehem und Golgatha hinwegschreiten kann, ohne ihn zu bemerken, dass man über den Acker der Kirche gehen kann, ohne in all dem Schmutz und in all der kleinkarierten Verhüllung die Perle zu bemerken. Es hat Gott gefallen, die Perle der Gotteskindschaft nicht in eine goldene Fassung einzufügen und in ein Gala-Schaufenster unserer großen Städte zu legen, wo man sie nicht erreichen kann und nur die Klugen, Begüterten und Plutokraten dieser Weit sie kaufen könnten. Sondern es hat ihm gefallen, sie in einen ganz gewöhnlichen Acker zu legen, in einen Acker wie alle anderen auch, über den der schwere und mühsame Schritt der Menschen geht, und wo sie auch der Ärmste finden kann.

So können wir jedenfalls eines in dieser Stunde lernen: Wir wollen uns nicht wie jene Leute, die blasiert fragen: “Was kann aus Nazareth Gutes kommen?”, an dem armen und steinigen Acker stoßen, in dem die Perle ruht. Wir wollen uns nicht daran stoßen, dass diese Perle – Jesus Christus – im Acker eines Landes gelegen hat, das an der Peripherie des Weltgeschehens liegt und uns in vieler Hinsicht fremd ist. Wir wollen ihn dadurch nicht relativiert sein lassen. Wir wollen uns nicht daran stoßen, dass sie in einer Zeit ans Licht trat und vor uns aufleuchtete, über die wir uns im Atomzeitalter und in der Epoche der Düsenflugzeuge erhaben dünken. Sondern wir wollen die Perle lieben, weil sie sich nicht zu gut dünkte, in jenen armen Acker gesenkt zu werden, und weil sie sich darum auch heute nicht zu gut ist, um von unseren armen und leeren Händen aufgehoben zu werden: In diesen Händen – was haben sie nicht alles getan! – in diesen Händen dürfen wir die Herrlichkeit Gottes fassen und ans Herz drücken. Und mit diesem Munde – was ist ihm nicht schon an Verruchtheit
und Zerstörung entquollen! – dürfen wir seine Gnadengabe am Tische des Herrn empfangen. Wenn ihm der Acker nicht zu schmutzig ist, werden es unsere Hände auch nicht sein.

So ist Gott aus Liebe und tiefer Herablassung verborgen, ist er versteckt im Acker. Wir müssen ihn suchen, wie man die Gestalt eines Vexierbildes sucht.

Was bedeutet nun dieser Acker? Der Acker, in dem der Schatz liegt, ist nichts anderes als das Territorium, auf dem sich mein Leben abspielt. Der Acker ist gar nichts anderes als unser Leben, in dem wir wirken und werken oder dahinschlendern. Und in diesem unserem Leben ist es mit der Verborgenheit Gottes genau so wie mit jenem Schatze im Acker: Wie manche Perle ist verhüllt in einem Schmerz, der unser Leben trifft, in der Heimsuchung etwa, die wir ertragen müssen, wenn wir am Grabe eines geliebten Menschen stehen, wenn wir uns im Heimweh der Gefangenschaft über Jahre hin verzehren müssen, wenn unsere Ehe zerbricht oder wenn uns von den Menschen Unrecht getan wird.

Dieser Arbeiter auf dem Feld ist zuerst wohl erschrocken, als sein Pflug an einen Widerstand stieß. Da dachte er: “O dieser verfluchte Stein!” Wie manches Mal schimpfen auch wir und regen uns auf über die harten Schicksalsbrocken, auf die der Pflug unseres Lebens stößt, über die sinnlosen Klötze, die uns das Schicksal zwischen die Beine wirft. Und in Wirklichkeit ist es die Perle, ist es der Schatz, der auf uns wartet.

Vielleicht ist der eine oder andere unter uns, der nach einem Jahrzehnt der Gefangenschaft hierhergekommen ist, um Gott das Gelübde seines Dankes zu bezahlen. Er weiß sich dem Netz dieser schauerlichen Jahre noch kaum zu entringen. Die Öde der durchlittenen Hoffnungslosigkeit, der Sadismus dessen, was Menschen ihm angetan haben, greift wie mit Polypen armen nach ihm und läßt ihn noch gar nicht richtig daheim sein. Er ist noch immer ein beunruhigter Wanderer im Niemandsland zwischen zwei Welten: zwischen der dunklen, grausigen, die hinter ihm liegt, und der Heimat, die ihm immer noch unfaßlich und wohl ebenso Fragwürdig ist wie dem Odysseus sein Ithaka, an dessen Strand er eines Morgens erwachte.

Und doch, wenn er zurückblickt, muss nicht auch er (selbst er, den der durchlittene Jammer noch bis in die Träume verfolgt) es bekennen, dass sogar in dem Grau-in-Grau oder auch im Blutigrot dieser dämonischen Jahre immer wieder jene geheimnisvolle Perle aufleuchtete? Hat er nicht Tröstungen erfahren, von denen Menschen, die in bürgerlicher Sicherheit leben, keine Ahnung haben? Ist ihm nicht hie und da ein gutes Wort zuteil geworden, das eine Leuchtkraft besaß, wie sie sich nur im äußersten Dunkel auswirkt? Ist er nicht mit einer Intensität auf den Ausweg nach oben und auf die Tröstungen von oben verwiesen worden, die es auf den glatten Asphaltstraßen des normalen Lebens so nicht gibt? Und klingt ihm nicht noch das “Nun danket alle Gott!” bei der Heimkehr in den Ohren – mit einem Klange, wie wir es wohl nie hören können, wenn wir es in der Kirche singen? Hat je einer – außer den Engeln – so singen gehört, hat je einer die Augen der Kinder mit ihren Blumensträußen – und vielleicht waren es die Augen der eigenen Kinder – so überwältigend erlebt wie er? Und rührte dieses Leuchten einer unsäglichen Heimkehr nicht auch her von dem Glanze jener Perle, die in den dunkelsten Äckern ruht?

Ist das alles, das Schwere und das Leuchtende, nicht ein einziger Ruf, dass man doch die verborgenen Gnaden Gottes in aller Rätselhaftigkeit der eigenen Führungen sehen und dass man den höheren Gedanken trauen möge, die über unserem Leben gedacht werden?

Summa summarum: Die Perle ist verborgen im Schmerz, sie ist als Schatz versteckt im zerpflügten Acker.

Aber noch etwas zeigt unser Gleichnis: Der Mann bringt Opfer und verkauft alles, was er hat, um den Schatz zu erwerben. Man muss sich, um das Ungeheuerliche dessen zu verstehen, nur einmal die konsternierten Gesichter seiner Nachbarn und Freunde vorstellen, als er sich in völlig unverständliche Unkosten stürzte, um einen Acker zu erwerben, dessen Wert in gar keinem Verhältnis zu seinem finanziellen Opfer zu stehen schien. Die Leute dachten wirklich: “Der Mann ist verrückt!” Er verkauft buchstäblich alles, was er hat, auch alles, was zu den elementaren Bedürfnissen gehört, um den Acker zu kaufen. Er tut also das, was der reiche Jüngling nicht tat. Damit berührt der Text einen heiklen Punkt, mit dem wir als solche, die Christen sein oder werden möchten, fertig werden müssen. Denn er sagt: Gott wird einem nie nachgeworfen, sondern er kostet etwas. Vielleicht hat das liebende Nachgeben, mit dem Jesus die Verlorenen sucht und dem keine Zöllnerstube, keine Kneipe zu gering ist, den einen oder anderen zu dem Irrtum verführt, als würfe sich Jesus den Leuten auch gegen ihren Willen an den Hals. Wenn das so wäre, nun, dann hätte es ja noch Zeit damit, die Frage der Ewigkeit zu bereinigen. Dann kämen wir immer noch früh genug.

Nein, Gott wird uns nicht nachgeworfen. Alles in – der Welt muss bezahlt werden – auch Gott. Und wenn wir bekennen, dass es bei Gott nicht nach dem Leistungsprinzip geht, sondern dass alles aus einer unbeschreiblichen Begnadung kommt, dann hat Gottes Gnade dennoch nichts zu tun mit der gebratenen Taube, die uns von selbst in den Mund fliegt, sondern – nun eben mit der Perle und dem Schatz, die man mit allem, was man hat, erstehen muss.

Ich glaube, auch in dieser Hinsicht hat die hinter uns liegende und von unseren Brüdern im Osten noch immer durchlebte Zeit der Anfechtung einer Klärung gedient. Denn der Glaube ist ja wahrhaftig keine solche Taube mehr. Der christliche Glaube hat begonnen, etwas zu kosten. Man werde bei dem bisschen Windstille hier in Westdeutschland doch ja nicht zu sicher! Es ist schon dafür gesorgt (man braucht nur Robert Jungks Buch “Die Zukunft hat schon begonnen” zu lesen, um dessen versichert zu sein), dass eines Tages die Puppen auch im Westen wieder zu tanzen beginnen. Und niemand kann der Gemeinde Jesu garantieren – auch Gott tut das nicht -, dass sie nicht tatsächlich, dass du und ich nicht tatsächlich noch einmal vor das harte Entweder-Oder des Lutherliedes gestellt werden: entweder “Gut, Ehr, Kind und Weib” oder “das Reich, das uns doch bleiben muss”.

Und auch wenn es nicht so kommen sollte, haben wir uns zu fragen, ob nicht manches in unserem Leben uns näher steht und wichtiger ist als Jesus Christus und ob dieses Nähere und Wichtigere dann nicht eines Tages der Preis werden könnte, für den wir unseren Christenglauben verkaufen: eine Leidenschaft, ein bestimmter Lebensstil, eine Untreue, eine geschäftliche Manipulation – und wie die Masken des dunklen Gesellen sonst noch aussehen oder heißen mögen.

Wer hier meint, er stehe, der möge zusehen, daß er nicht falle. Ich habe jedenfalls schon wahre Eichen des Glaubens fallen sehen, Bäume, deren Verwurzelung im Erdreich Gottes eben im entscheidenden Augenblick doch nicht konkurrieren konnte mit dem Winde der Zeit, der ihnen in die Krone fuhr und sie herausriss. Wer weiß, ob und wann wir nicht alle zu wählen haben zwischen unserer Wurzel und jenem Wind.

Da sind sie also wieder, die leidigen Worte, die seit alters über dem Christenleben stehen und um deretwillen es von vielen empfunden wird als ein heißes Eisen, das man besser nicht anfasst, die Worte: entweder-oder. Verkaufe dies und lass das! Die Worte: “Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon.”

Hat unser Christenleben nicht immer wieder dies negative Vorzeichen der Entsagung? So ging es ja auch dem Manne des Gleichnisses, der nahezu auf alles, was sein Leben erfüllte, verzichten musste, um den Schatz zu erschwingen.

Aber nun braucht man nur sein Gesicht anzuschauen, um zu ermessen, wie ihm zumute ist. Es heisst ja, daß er “hinging vor Freuden”, um alles loszuwerden, was er hatte. Er sagt nicht etwa schmerzverzerrt zu sich selber: “Jetzt habe ich die ernsten Forderungen Gottes erkannt, und nun muss ich eben wohl oder übel die Konsequenzen ziehen.” Nein: Er ging hin vor lauter Freude. Das war doch seine große Entdeckung: Dieser Schatz und diese Perle wiegen alles, alles auf; sie überstrahlen alle Verluste, allen Spott der Nachbarn, alles Hangen an lieben Gewohnheiten und lieben Sachen; sie ersetzen mir hundertfach alle materiellen Einbußen und alle Einschränkungen meines Lebensstandards, die ich für dieses Eine und Größte meines Lebens in Kauf nehmen muss.

Das ist die Botschaft dieses Textes: Gewiss, der Christenglaube bringt uns manchmal in Konflikte, wo die Weltleute völlig ungehemmt sind. Er stellt uns nicht selten vor ein Entweder – Oder, das gewisse Strapazen macht und das uns in schwachen Minuten etwas neidisch auf. die Unbekümmertheit der Gleichgültigen blicken lässt.

Aber der Ton liegt eben nicht auf dem Lassen, sondern auf dem Bekommen. Daher sind die Christen nicht mit zusammengebissenen Zähnen, sondern lobend auf den Rachen der Löwen zugeschritten. Deshalb haben die Jüngerinnen angesichts des Schafotts – wie uns Gertrud von le Fort erzählt – gesungen. Darum ist es keine düstere Askese, sondern ein schwingentragender Gedanke, wenn wir singen: “Gib, dass ich nichts achte, nicht Leben noch Tod, und Jesum gewinne: dies eine ist not.”

Dieses Licht der Perle leuchtet in der Nacht der Katakomben und ‘überstrahlt das Dunkel aller Schmerzen, die je einer um Jesu willen erlitten hat und erleiden wird. Und solche, die es wissen müssen, haben es bezeugt, daß die Perle um so heller zu leuchten begann, je dunkler es in ihren Bombenkellern, in ihren Gefängniszellen und in ihren Krankenstuben wurde. Darum sind die Christen auch von Haus aus fröhliche Leute, und es ist nicht weniger als eine Verleugnung ihres Herrn, wenn sie den Humor verlieren.

Und noch etwas müssen wir bedenken: Als der Mann den Schatz gefunden hatte, war alles für ihn verwandelt. Er schaute mit ganz neuen und anderen Augen in die Welt. So ist es ja immer: Wenn man etwas ganz Kostbares gefunden hat – seine Lebensgefährtin z.B. oder einen Freund oder eine berufliche Erfüllung -, dann wird alles andere daran gemessen und rückt in die zweite Linie; es wird sozusagen relativiert. Wie anders hat der Mann jetzt über die Äcker hingeschaut! Er hat den Acker nicht mehr an seinem eigenen Wert, an seiner Fruchtbarkeit gemessen, sondern daran, dass der Schatz in ihm liegt. Gewöhnlichen Augen erschien er wie alle anderen Äcker auch. Aber der Bauer wusste um das Geheimnis, das auf seinem Grunde lag.

So bekommen wir Christen in der Nachfolge Jesu nicht nur ein anderes Herz, sondern auch andere Augen. Wir sehen die Perle in den Dingen. Das geht bis ins einzelne: Wie anders erscheint uns die Natur, wie anders ein Sonnenaufgang, wie anders die herbstliche Frucht der Felder, wenn wir die Perle und den Schatz entdeckt haben! Wir können das alles dann nicht mehr bloß ästhetisch, als ein bloßes Stück Erdenschöhnheit, genießen, sondern wir sehen es mit den Augen des 104.Psalms als einen jubelnden Lobpreis des Schöpfers und sehen durch “Wolken, Luft und Winde” gerade hinein in das Herz des Vaters, der uns mitten in diesem Garten der Herrlichkeit seine lieben Kinder sein und aller Augen auf sich warten lässt. Wir sehen die Natur auf einmal mit anderen Augen an – genau wie der Bauer den Acker mit ganz anderen Augen ansieht, seit er den Schatz gefunden hat.

Und wie anders sieht auf einmal der Nächste aus! Er ist nun nicht mehr – jedenfalls nicht primär – der Mann, der uns nützt oder schadet, der uns sympathisch oder unsympathisch ist, sondern er wird nun plötzlich in unseren Augen zum Träger der kostbaren Perle. Auch wenn er vielleicht ein armer oder böser Wicht ist. Wenn er ein sehr steiniger und unfruchtbarer Acker ist, mit dem man nicht viel anfangen kann, dann sehen wir doch, dass er teuer erkauft ist, dass das Auge unseres Heilandes auf ihm ruht und daß er sich für ihn hingegeben hat, um ihn für die Ewigkeit zu gewinnen. Unser erneuertes Auge sieht auf einmal, wie Luther es ausgedrückt hat, dass er eine goldene Kette um seinen Hals trägt und daß er der Träger eines heimlichen Schatzes ist. Es gibt nichts, was Jesus nicht verwandelt, wenn er in unser Leben tritt, Er durchdringt alles und pflügt alles um, und wir werden selber Leute mit anderen Augen, wenn Jesus uns ansieht. Und wo andere, wo die Nachbarn des Bauern nur einen steinigen Acker sehen, da erkennen wir das kostbare Geheimnis Gottes.

Verstehen wir jetzt, warum der Bauer alles verkauft und lässt, einfach vor Glück und Jubel dahingibt? Ihm wurde es sonnenklar: Nur eines ist not, nur der Schatz. Wenn ich den habe, dann habe ich alles andere auch. Aber zuerst muss ich eben den Schatz haben.

Wir machen ja alle den Fehler, dass Gott für uns nicht das eine und einzige ist, daß er uns nur ein religiöser Lebenszusatz, aber nicht das Leben selbst ist. Ein bisschen Gott, ein bissehen Ewigkeit, ein bisschen Religion mitten im Grau des Alltags und in der Härte des Leistungskampfes – wer wollte das entbehren! Das hellt das Dunkel der täglichen Misere ein wenig auf, das ist ein kleines Lebenspolster und wirkt mildernd und entschärfend in der Härte des Tages. Ein bisschen Gott!

Aber Gott ist kein solcher Zusatz, und die Perle ist kein Zimmerschmuck, an dem wir uns in müden Augenblicken erbauen. Hätte der Mann nicht alles andere der Perle nachgeordnet und losgelassen, hätte er nicht alles verkauft und also Nägel mit Köpfen gemacht, so hätte er sie nie bekommen, sondern sie nur von ferne gesehen, und ihr Leuchten wäre an ihm vorübergegangen. Ja, noch mehr: Er wäre sogar unglücklich geworden, weil er die Perle nicht hätte vergessen können.

Wie viele Menschen kommen durch Jesus Christus tatsächlich in einen solchen Zwiespalt und werden an ihm unglücklich! Sie spüren: “Den müsste ich haben. Der könnte mein Leben reich und neu machen.” Aber zugleich lieben sie das andere, das sie nicht lassen möchten: ihre Karriere, die nicht zu Bruch gehen soll; ihre Ehre vor den Menschen, die sich dem Spott nicht auszusetzen wagt; ihr Geld, ihre Bequemlichkeit, die der Not des Nächsten nicht zur Verfügung stehen dürfen. Und weil sie dies alles nicht lassen wollen, weil sie nach beiden Seiten schielen und auf beiden Schultern Wasser tragen wollen – das Wasser Gottes und das Wasser des Mammons -, darum gewinnen sie die Perle nie, und ihr Herz wird in einem Zwiespalt zerrieben, der oft genug in offenen Hass gegenüber dem Unruhestifter Christus übergeht. Wenn irgendwo, dann gilt es auch hier: “Die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben.” Nicht Jesus Christus macht uns unruhig und zwiespältig, sondern unsere Halbheit, die dieses tun und das andere nicht lassen möchte.

Darum ist es wohl ein Kampfruf, wenn Jesus sagt: “Nur eins ist not”; ein Ruf zum Kampfe nämlich gegen all das viele, das uns auch noch besitzen und besetzt halten möchte.

Aber zugleich ist es ein Ruf zum Frieden.

Wenn wir dies eine haben, bekommen wir die ruhigen Augen und den langen Atem derer, die sich nicht mehr an die Ängste, Sorgen und Hoffnungen alles dessen verlieren können, was uns so täglich über den Weg läuft, sondern die wissen, was zuletzt bleibt, wenn alles andere fällt, die den Maßstab bekommen für das, was im Reiche Gottes groß und klein ist, und die deshalb bei manchem zurückzucken, wo die Welt bedenkenlos mitmacht; und umgekehrt: die bei manchem singen und loben und lachen lernen, wo die Welt die Nerven verliert. Sind unsere Augen und ist unser Atem nicht neu geworden? Wie anders sehen die Äcker und sieht die Welt nun aus, wo wir Haushalter über Gottes Geheimnisse sein dürfen! Wie klein und billig sieht nun manches aus, was uns vorher groß und begehrenswert erschien; und wie anziehend und glückhaft manches, das wir vorher verachteten!

Das ist die Umwertung aller Werte durch die Nachfolge Jesu.