Und Jesus antwortete und redete abermals durch Gleichnisse zu ihnen und sprach:
Das Himmelreich ist gleich einem Könige, der seinem Sohn Hochzeit machte. Und sandte seine Knechte aus, dass sie die Gäste zur Hochzeit riefen; und sie wollten nicht kommen. Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Saget den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen Acker, der andere zu seiner Hantierung. Etliche aber griffen seine Knechte, höhnten und töteten sie. Da das der König hörte, ward er zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren’ s nicht wert. Darum gehet hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll.
Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an; und sprach zu ihm: Freund, wie bist ‘du hereingekommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werfet ihn in die Finsternis hinaus! Da wird sein Heulen und Zähneklappen.
Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Matthäus 22, 1-14
Mit diesem Gleichnis ist ein Ton angeschlagen und unserer Phantasie ein Bild vorgehalten, die uns zur Aufmerksamkeit rufen. Nicht nur die damaligen Hörer haben aufgehorcht mit ihrer gespannten Erwartung des WeItendes und des Messianischen Reiches. Vielmehr wird der Traum vom Reiche Gottes ja zu allen Zeiten geträumt. Er reicht vom Gedanken des Tausendjährigen Reiches im letzten Buch der Bibel bis zur klassenlosen Gesellschaft und zum Paradies der Arbeiter bei Karl Marx. Und immer bildet sich die gleiche Sehnsucht darin ab: Einmal muss das Geheimnis des Leides, der Irrenhäuser, der Massengräber, einmal muss das Geheimnis der Witwen und Waisen gelichtet werden. Einmal muss das »Hernach« kommen, an dem wir alles erfahren werden. Einmal muss der lähmende Widerstreit zwischen der Gerechtigkeit auf der einen und dem blinden Würfelspiel des Lebens auf der anderen Seite, einmal muss die Spannung zwischen reich und arm, zwischen der Sonnenseite des Lebens. und den grausigen und dumpfen Zonen des Schreckens ausgeglichen werden. Jedes hochgespannte, politische und kulturelle Ziel ist ein wenig vom Lichte dieser Enderfüllung beleuchtet.
Aber gerade wenn wir das so sagen, spüren wir die ganz andere Welt, die sich schon bei den ersten Worten unseres Gleichnisses auftut.
Das erste, was uns in unserem Gleichnis als das ganz andere auffällt, ist dies, dass das Reich Gottes nicht ein Weltzustand ist, nicht eine ideale Völker- und Lebensordnung. sondern dass es um eine Person kreist: Der König, Gott selbst, ist in einer Weise, über die wir noch nachdenken müssen, Träger des Geschehens. Dieser König veranstaltet ein Hochzeitsmahl. Damit ist jedenfalls von vornherein eines klar: Im Reiche Gottes geht es nicht um’ reformerische oder revolutionäre Anstrengungen des Menschen, der soziale und politische Programme verwirklichen will und der auf Utopien aus ist; sondern Gott ist es, der hier handelt. Er bereitet das königliche Mahl. Wir müssen also etwas zur Kenntnis nehmen, was kein Mensch von sich aus behaupten könnte: Gott will uns ein Freudenfest bereiten. Er will, dass wir seine freien Gäste sind und dass wir Gemeinschaft, dass wir Frieden mit ihm haben.
Auf diese Idee kann ja billigerweise kein Mensch kommen. Denn dieser Gott hat gar keinen Anlass, uns ernst zu nehmen oder gar zu »Iieben«, Dass dieser Gott uns an seinen Tisch lädt, ist zunächst einmal das große Wunder. Das muss man sich erzählen lassen von solchen, denen es begegnete. Denn es liegen keinerlei Anzeichen vor, auf Grund deren wir diese Ungeheuerlichkeit (denn um nichts Geringeres handelt es sich} vermuten dürften. Die Anzeichen, die »Indizien«, sehen ja ganz anders aus.
Nietzsche hat einmal die Menschheit als » Ungeziefer in der Erdrinde« bezeichnet. Das mag ein bisschen stark sein, aber es drückt immerhin die erbärmliche Winzigkeit menschlichen Wesens aus, das mit allzu hohen Ansprüchen und mit einem allzu pausbäckigen Pathos auftritt. Und für so etwas sollte sich Gott interessieren? Friedrich der Große kann sagen – und diese Feststellung gehört nicht zu den geringsten Ergebnissen seiner Lebensweisheit -, dass der Mensch eine Kanaille sei. Und auf eine derartig fragwürdige Spezies sollte Gott so etwas Pompöses wie seine Heilsgeschichte verschwenden? Für so etwas sollte das Drama von Golgatha inszeniert sein und der Begriff einer göttlichen Gnade bemüht werden?
Ich habe dies alles ein wenig stark zugespitzt ausgedrückt. Aber gerade damit mag uns ein tiefes und grundsätzliches Problem deutlich werden.
Es ist eine der dunkelsten Fragen, vor die uns unsere christliche Erziehung von Jugend an stellt, dass sie uns immer wieder um diese Verwunderung, um dieses Staunen betrügt, dass nämlich das Unerhörte uns zur Banalität, dass das Wunder uns zur Selbstverständlichkeit und dass das übernatürliche uns zur »zweiten Natur« geworden ist. Wir sind beinahe mit Gnaden, die uns im Getriebe der bürgerlich-christlichen Existenz auf dem Wege über die Taufe und Konfirmation zuströmen, ein bisschen zu sehr verwöhnt. Darum können wir die Seligkeit jener Einladung kaum noch empfinden. Christliche Sattheit ist• aber schlimmer als hungriges Heidentum. Das Wort von den Hungernden und Dürstenden steht nicht umsonst in der Bergpredigt. Und wer von uns diesen Hunger hat und ihn nicht zu stillen weiß und doch so gern wüsste, wie man es anfängt, ein Christ zu werden, der soll sich zunächst einmal freuen, dass er diesen Hunger überhaupt spürt. Denn wer Hunger hat, hat die Verheißung, dass er satt werden und im Reiche Gottes nicht der Kleinste sein soll. »Selig sind, die da Heim- weh haben, denn sie sollen nach Hause kommen« (Jean Paul). Es ist nun sehr wichtig zu sehen, wie diese unverhoffte Einladung genauer aussieht.
Da ist zunächst festzustellen, dass sie eine wirkliche »Einladung« und dass sie auf keinen Fall ein Gestellungsbefehl ist. Die Botschaft kommt immer als ein »Du sollst« und als kategorischer Imperativ, sie kommt nicht als Pflicht und Gesetz auf uns zu, sondern Gott meldet sich bei uns als Freund und Gastgeber. Er kommt als ein königlich Schenkender und als Geber aller guten Gaben und Freuden auf uns zu. Denn es geht ja zum Hochzeitsmahl.
Vielleicht machen wir Christen an dem Punkte immer Entscheidendes falsch: Wenn uns einmal jemand in der Arbeitspause oder beim abendlichen Gespräch fragt (und sich sozusagen ein Herz zu dieser Frage fasst): »Du, wie macht man das eigentlich, dass man den inneren Halt bekommt wie du, dass man so etwas wie Frieden hat und dass man auch in der Drecklinie des Lebens munter und getröstet durchhält?«, dann antworten wir sehr oft falsch. Wir pflegen dann nämlich nicht selten zu sagen: »Nun, erst musst du mal dies tun und das lassen. Und mit dem Tanzen und dem Sich-Amüsieren ist es schon gar nichts mehr. Da sind außerdem so verschiedene dunkle Punkte in deinem Leben; die musst du erst in Ordnung bringen. Außerdem musst du richtig wollen und eine radikale Kehrtwendung machen!«
Uns allen, die wir schon so geantwortet haben oder die wir besorgt sind, von jemandem solch belehrende Antwort zu bekommen, hilft dieses Appellieren und Moralisieren ja keinen Deut weiter. Das macht einen nur kaputt und nimmt einem den letzten Funken von Mut. Gerade angesichts der fragwürdigsten Dinge und der dunkelsten Bindungen, mit denen wir uns herumschlagen, liegt das eigentlich Bedrohliche ja gar nicht nur darin, dass unser Wille zu schwach ist, um ein Ziel zu erreichen, sondern dass wir gar nicht von ganzem Herzen wollen können.
So hat es wohl Luther gemeint, wenn er sagen konnte, das Gesetz, der Gestellungsbefehl, sei wohl ein Wegzeiger, aber’ es sei noch längst nicht die Kraft in den Beinen. Darum mache uns dieses Gesetz nur noch elender.
Gott macht es jedenfalls anders. Gewiss, er fordert von uns Gehorsam. Wir müssen sogar unser ganzes Leben umstellen, und wir haben unseren Christenstand mit allem, was wir sind, zu bezahlen. Aber zuerst schenkt er uns etwas, zuerst lädt er uns ganz einfach ein.
So sollten wir uns durch die Botschaft der Herolde ganz schlicht belehren lassen, dass ein Jünger Jesu zu reizen und zu locken und anzubieten hat, dass er nicht schön und lebendig genug von der Freude des königlichen Mahls und vom Frieden und der Geborgenheit des Vaterhauses erzählen kann, dessen Glück er selber hat schmecken dürfen. Es ist dann schon dafür gesorgt, dass die Gast späterhin, wenn er in den erleuchteten Sälen dieses Hauses, wenn er im wahrhaft festlichen und fröhlichen Christenstande darinnen ist, die Dunkelheit und Finsternis der ‘Fremde bemerkt, aus der er so gnädig herausgerissen ist, und dass er darüber trauert und Buße tut.
Soll ich etwas ganz ketzerisch Klingendes sagen?
Die Buße kommt immer noch früh genug, aber die Freude kann nie früh genug kommen. Wir, die wir Jesus Christus kennen, haben nur die Freude zu verkündigen. Denken wir nur dar an, wie es der König macht, der lockt und ruft und schenkt. Oder denken wir auch an den Beginn der Bergpredigt: Nirgendwo in der Heiligen Schrift werden wir so bis ins Innerste unserer Existenz in Frage gestellt. Nirgendwo sind Forderungen von solcher durchbohrenden Radikalität. Nirgendwo ‘werden wir von einem so verzehrenden Lichte angestrahlt, in dem wir unser Am-Ende-Sein so bis ins Letzte durchschauen müssen. Und doch beginnt dieses Kapitel mit dem vielfachen »Selig sind … «
Damit kann doch nur gesagt sein: Kommt einmal alle her, ich habe euch etwas mitzuteilen. Was ich euch zu sagen habe, ‘ist’ gewiss schwer. Es zeigt eure innersten Krisen und euer Am- Ende-Sein mit Gott auf. Aber zunächst, ehe ich davon rede, dürft ihr wissen, dass ich als Heiland mitten unter euch stehe und dass euch, wenn ich so bei euch bin, nichts aus der Hand des Vaters reißen kann, auch nicht die größte Dunkelheit. und das tiefste Scheitern, von dem ihr nun erfahren werdet. Erst. darf ich -euch sagen, dass die seligzupreisen sind, in deren Mitte ich bin, die das Hungern und Dürsten in sich haben, die geistlich arm sind und die ich meine Brüder nennen darf. Und nun, nachdem euch diese Seligkeit geschenkt ist und nachdem ihr von diesem unzerstörbaren Frieden mit dem Vater wisst, nun vernehmet, was von euch gefordert ist, nun vernehmet, worin ihr ins Scheitern kommen mögt.
Nachdem nun die Boten des Königs die Freudennachricht der Einladung überbracht haben, reagieren die Geladenen geradezu ungeheuerlich: Sie lehnen ab.
Man- kann ja verstehen, wenn jemand eine übermäßige Beanspruchurig ablehnt. Viele von uns ‘sind überfordert. Wie viele wollen etwas von uns: dass wir Geld geben sollen; dass wir uns für diesen und jenen einsetzen möchten, dass wir Wohnungen, dass wir Arbeitsstätten beschaffen sollen und so fort. Da verstehen wir, wenn einer, der so überfordert ist, gelegentlich in Harnisch kommt und dann einmal sagt: “Schluss, lasst mich in Ruhe!«
Aber hier ist es ja anders. Hier lehnt man eine Einladung ab. Haben wir schon einmal erlebt, wie das ist, wenn wir jemandem etwas Gutes tun wollen und bekommen die kalte Schulter gezeigt? Und eben dieses Wehtuende geschieht doch, wenn die Menschen die Boten des Königs so brüsk hinwegweisen und sie »verachten«.
Man versteht das eigentlich nicht recht. Warum mögen sie so befremdlich reagieren?
In der Lukas-Parallele zu unserem Text werden andere Aus- drücke gebraucht. Dort heißt es nicht: sie »verachteten«, sondern sie »entschuldigten sich« (Luk. 14,18ff). Der eine hatte einen Acker gekauft, der andere ein Joch Ochsen, der dritte hatte geheiratet. Das heißt doch ohne Bild: Jene Menschen stellen das Alltägliche ihres Lebens, das also, was einem so unmittelbar vor die Hand kommt – den Geschäftsbrief, den sie zu schreiben, den wichtigen Abschluss, den sie zu tätigen, die Cocktail-Party, die sie zu besuchen haben, und die Gartenarbeit, die sie zu ihrem Vergnügen machen – sie stellen das alles vor den Anruf aus der Ewigkeit, vor die große Freude, die ihnen angeboten wird.
An sich sind alle diese Dinge und Tätigkeiten ja nicht böse. Dass man Geschäftsbriefe schreibt und Abschlüsse tätigt, das alles gehört doch .zu unseren Pflichten. Man kann wirklich nicht das Geringste dagegen haben. Aber das ist es ja: Der Weg zur Hölle ist in der Regel gar nicht mit Verbrechen und großen Lumpereien, sondern er ist mit lauter Harmlosigkeiten, mit lauter Anständigkeiten gepflastert, und zwar deshalb, weil diese Harmlosigkeiten und Anständigkeiten in unserem Leben den falschen Rang bekommen, weil sie uns plötzlich ins Licht treten. Auch die Menschen unseres Gleichnisses haben sicher das Hungern und das Warten in sich gehabt. Sie wären sonst keine Menschen. Auch sie haben sich aus dem Trott des Lebens, aus des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr nach einer großen Erfüllung und nach Frieden gesehnt. Auch sie haben den Traum des Lichtes geträumt. Und nun, wo das alles da ist und ihren Lebenskreis berührt, da versagen sie sich. Aber ist das alles wirklich so vollkommen unfasslich, wie es im ersten Augenblick scheinen mag? Es ist nur für den nicht verständlich, der nicht Liebe genug hat, um sich in jene Menschen hineinzuversetzen, oder der es nicht mehr weiß, wie ihm selber zumute war, als er den Herrn Christus noch nicht angenommen hatte. Da wagt man es nämlich gar nicht, die große Freude zu riskieren und die eigenen Liebhabereien und Bindungen dafür her: zugeben. Und zwar wagt man es ganz einfach deshalb nicht, weil man die verheißene Freude doch nicht kennt und weil es nicht im Voraus zu ermessen ist, in welchem Maße sich jedes Opfer und jeder Abschied vom Bisherigen lohnt. Man begreift nicht und kann es wohl auch gar nicht begreifen, dass eben dies die größte Freiheit ist, was man mit seinen natürlichen Augen für das Eingehen einer verpflichtenden und insofern belasten: den Gefolgschaft hält. Man ahnt nicht, dass eben dies Friede und volles Genüge ist, was man für einen Zustand der Entsagung hält, in dem immer wieder nur nein gesagt werden muss und in dem keine Freude und kein jugendlicher Überschwang mehr regieren darf.
Haben wir nicht alle schon einmal Kameraden oder Freunde gehabt, die uns aufrichtig bedauerten, dass wir Christen seien, wo wir doch ganz humorvolle und vitale Burschen und ganz zünftige Kerle seien?
Aber ich fürchte, dass wir Christen in dieser Hinsicht unseren Herrn auch immer wieder schlecht vertreten. Die sauertöpfisch = muffigen Gesichter vieler Christen, die oft genug aussehen, als ob sie Gallensteine hätten (alle, die wirklich welche haben, mögen mir verzeihen!), sind schlechte Künder jener hochzeitlichen Freude. Sie geben eher Anlass zu der Vermutung, dass sie statt vom Freudenmahl des Vaters vom Gerichtsvollzieher kämen, der ihrer Sünde Maienblüte meistbietend und zu ihrem großen Kummer versteigert hat, so dass sie nicht mehr heran können. Nietzsche hat schon richtig beobachtet, wenn er sagt: »Sie müssten erlöster aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.«
Darum also sagen viele die Einladung ab, weil sie eben nicht ahnen und weil wir Christen ihnen auch oft genug vorenthalten, was ihnen geschenkt werden soll. Denn jeder hat wohl schon fast jedes einmal in seinem Leben bereut; noch nie aber hat jemand bereut, ein Jünger dieses Herrn geworden zu sein. Es ist eigentlich schade, dass das Anliegen des etwas süßlichen Liedverses »Wüssten’s doch die Leute, wie’s beim Heiland ist, sicher würde heute mancher noch ein Christ« keinen größeren Dichter gefunden hat, der den Menschen eine Ahnung davon verschaffte, wie nicht nur ihre Skepsis zerstiebt, sondern wie auch ihre kühnsten Erwartungen übertroffen werden, wenn sie die Schwelle jenes königlichen Hauses betreten, in dem der Vater sie zu ihrem festlichen Christenstande erwartet. Es sollte etwas Festliches und Freudevolles in unserem Christenstande sein, sonst glaubt man uns nicht, dass wir die Boten des Königs sind. Wer mit Minderwertigkeitsgefühlen zu kämpfen hat, wenn er seinem Nächsten etwas von Jesus sagen soll, der mag wie ein Engel vom Himmel reden, aber ein gewisser Ton in seiner Stimme straft ihn Lügen. Und er soll sich dann nicht damit herausreden, dass man an seiner Botschaft Ärgernis genommen habe. Er fand ja nur deshalb keinen Glauben, weil er unglaubwürdig war.
Jedenfalls, die besseren Leute sagen ab. Sie haben Wichtigeres zu tun als aufzustehen und schnurstracks ihre Geschäfte zu verlassen, um bestimmten Tauben auf dem Dache nachzujagen. Jeder von uns hat eben bestimmte Bereiche in seinem Leben, die er nicht preisgeben und die er nicht ausliefern will. Vielleicht ist es mein beruflicher Ehrgeiz, der mich in ein schiefes Verhältnis zu meinem Kollegen und Konkurrenten bringt und der es mir unmöglich macht, mit ihm zusammen an der Tafel des Königs zu sitzen. Da steht der Neid, die Unsachlichkeit zwischen mir und meinem Nächsten und damit auch zwischen mir und dem König. Vielleicht ist es mein Geschäftsgebaren, das der König nicht wissen darf und das mit Recht das Licht seiner festlichen Säle scheut. Vielleicht liegt die Reserve, in der ich verharre, auch im Gebiet des Geschlechtlichen begründet:
Alles kann Gott haben, nur dieses eine nicht! An einer anderen Stelle will ich ihn gern in mein Leben hineinlassen, nur hier nicht, an dieser einen Stelle nicht. Ich bin ja gutmütig und wünsche niemandem etwas Böses und habe auch ein weiches Herz, bringe also viele erfreuliche Voraussetzungen mit; also kann er meine Nächstenliebe haben. Ich bin idealistisch und habe Schwung und großen Gestaltungswillen in mir; also kann er meinen Einsatz haben. Nur dieses eine nicht!
Und es ist freilich nun sehr eigenartig, dass Gott an keiner anderen Stelle in mein Leben will; dass er sich partout in den Kopf gesetzt hat, nur über dieses schwierigste Gelände meines Lebens zu mir zu kommen. Es gehört zur Eigenart des Reiches Gottes, dass es nie nach dem Gesetz des geringsten Widerstandes verfährt, sondern dass es sich die dicksten Betonmauern meines Lebens aussucht, um hier und nur hier seinen Einzug zu halten. Wenn ich ihm hier nicht öffne, kehrt es überhaupt um, und zwar unter Garantie. Wissen wir, wo in unserem Leben jene dicksten Mauern aufgebaut sind? Es lohnt sich, darüber nachzudenken.
Genauso haben die Geladenen unseres Gleichnisses vermutlich gesagt: »Ein anderes Mal nehmen wir gern deine Einladung an; nur gerade jetzt nicht. Nur bei dem, was ich heute vorhabe, kann ich dich nicht brauchen, da darfst du mir nicht in die Quere kommen und nicht dazwischenfunken.«
Aber auch hier gilt es nun: Wenn sie ihm heute nicht öffnen, wo es ihnen am schwersten ist, kehrt Gott um und hält seinen Einzug woanders. Ganz gewiss, nach dem »zweiten Schlaganfall” ließe sich’s vielleicht einfacher fromm sein, denn man hat da nach dem Worte Wilhelm Buschs »alles hinter sich« (ob= wohl auch das Alter und dieser Zustand ihre »Mucken« haben). Aber Gott will mich nun einmal jetzt, wo ich im Anstieg oder auf der Höhe des Lebens bin und wo sich meine Arbeit und mein Kampf und meine Leidenschaften mit vielem stoßen werden, was Gott mir bietet und von mir verlangt. Ich habe nicht die Verheißung, dass Gott noch einmal kommen wird, wenn ich ihn zu einem späteren Treffen auf den sanften Auen meines Rentnerdaseins bestelle; und ob sie im Übrigen wirklich so sanft sein werden?
Noch ein wichtiger Zug unseres Gleichnisses muss an dieser Stelle vermerkt sein. Es bleibt nämlich gar nicht bei dem bloßen Sich-Versagen und dem Nicht-Mitkommen der geladenen Gäste. Es heißt ja: Sie höhnten und töteten die Boten des Königs. Damit ist ein tiefes Geheimnis der Reich-Gottes-Geschichte angerührt: Man kann sich nämlich der Christus-Botschaft gegenüber nicht passiv verhalten. Man. muss auf die Dauer aktiv gegen sie einschreiten. Hier ist die. Wurzel aller Feindschaft Israels gegen die Propheten, hier ist auch die Wurzel alles Fanatismus und aller Radikalisierung der modernen Antichristentümer. Man muss sich einfach Christus und seine Vertreter aus den Augen schaffen, weil sie ein permanenter Vorwurf sind und weil uns daran deutlich wird, wie sehr wir unser eigenes Leben haben wollen. Man kann der Botschaft von Christus gegenüber nicht immerfort in Spannung leben, man kann nicht ständig der Zwangslage ausgesetzt sein, ihr gegenüber einen Berechtigungsnachweis zu erbringen und sich selber beweisen zu müssen, dass man sie nicht nötig habe. Das Neinsagen zu Christus in der Haltung der Toleranz (dass man ihn also für sich selber zwar ablehnt, doch anderen Leuten gern ihren Glauben überlässt), jene Toleranz also, wie sie die sogenannte demokratische Freiheit der religiösen Bekenntnisse pflegt, ist nur eine durchaus vorübergehende Windstille. Wer das Geheimnis des Reiches Gottes kennt, weiß, dass der Sturm eines Tages wieder losbrechen wird. Und man braucht nicht einmal das Beispiel des Dritten Reiches zu beschwören (das ja auch so tolerant begann!), um über diesen Gang der Dinge Bescheid zu wissen.
Als nun die besseren Leute sich so versagt und die Einladung abgelehnt haben, werden die Boten des Königs noch einmal ausgeschickt. Nun gehen sie zu den Leuten an den Zäunen und auf den Gassen. Es sind Böse und Gute darunter, gerade Naturen und Halunken. Gott führt seinen Plan also durch – auf alle Fälle. Die großen Widerspieler von Nebukadnezar bis zu Judas und den modernen Repräsentanten des Antichristentums können Gott nicht das Konzept verderben, sondern sie stehen selber auf diesem Konzept.
Seine Veranstaltung fällt somit nicht ins Wasser. Wo die Genies versagen, holt Gott die Nullen. Wo die Träger christlicher Tradition, wo die Kirchenchristen streiken und in dogmatische Haarspaltereien oder Kirchenpolitik versinken, holt er die Neuheiden und freut sich der Quellfrische ihres jungen Christenstandes. Denn Gott hat keine Vorurteile. Man darf so kommen, wie man ist, auch als ganz armer, als ganz sündiger, als ganz liebensunwerter Mensch, der nicht begreifen kann, was Gott an ihm findet. Er findet auch in der Tat nichts an ihm, aber er macht etwas aus ihm: er macht ihn zu seinem lieben Kinde.
Nun sitzen sie also alle an ihren Tischen: die Bettler und die Dirnen, betrügerische Bankrotteure und verkommene Genies, arme Tröpfe, die von niemandem ernst genommen werden, und geriebene Spitzbuben – alles in allem eine saubere Gesellschaft. Und der König erscheint.
Das ist ja die Hauptsache: ihn sehen und mit ihm sprechen zu dürfen. Das ist doch der eigentliche Sinn dieser Einladung, dass man das darf, und nicht die himmlischen Kronen und die Palmen und die goldenen Gassen oder das kristallene Meer oder ein frommer und halbfrommer Jenseits-Rummel.
Als der Vater des großen Theologen Adolf Schlatter im Sterben lag, sprach ihm ein Bruder Trost zu und sagte, dass er nun bald auf den goldenen Gassen des himmlischen Jerusalems weilen und über das weite kristallene Meer schauen werde. Da fuhr ihn der Sterbende zornig an und rief: »Weg mit dem Plunder! Mich verlangt nur, am Halse des Vaters zu hängen.« Der Himmel besteht nämlich nicht in dem, was wir »bekommen«, sondern in dem, was wir »sein« dürfen: solche nämlich, die nicht mehr bloß Glaubende und Hoffende und also Angefochtene zu sein brauchen, sondern solche, die nur noch lieben und im Lieben schauen dürfen, was sie einst glaubten.
Nun nimmt unser Gleichnis auf sein Ende hin noch eine dramatische Wendung. Einer bekommt die größten Unannehmlichkeiten, weil er kein hochzeitliches Kleid trägt, und wird aus dem Saale gewiesen. Was mag mit diesem hochzeitlichen Kleide gemeint sein?
Gewiss, wir dürfen den Ruf ins Vater- und Königshaus so annehmen, wie wir sind. Wir brauchen uns der Gassen und Zäune nicht zu schämen, in denen’ wir uns herumgetrieben haben und an denen wir stehen. Gerade an unserer Erbarmenswürdigkeit will sich das Erbarmen des Vaters ja bewähren. Wir dürfen so kommen, wie wir sind.
Aber das heißt nun ganz und gar nicht, dass wir das königliche Haus auch so betreten dürfen, wie wir sind. Und eben das meint das Gleichnis mit dem Bilde des hochzeitlichen Klei- des. Ohne festliches Kleid setzt man sich nämlich. dann an die Hochzeitstafel, wenn man sich zwar die Sünde vergeben lässt, aber sie doch behalten will. Wenn man also meint: »Das ist ja ein famoser Zustand, dass man ruhig in seiner Sünden Maienblüte bleiben darf, weil einem der liebe Gott ja doch nicht ernstlich böse sein kann, sondern beide Augen zudrückt und fünfe gerade sein lässt.« So kann ich mich in aller pfiffigen Harmlosigkeit täglich neu zum Vergebungsempfang einstellen, ohne auf irgendeine Fragwürdigkeit verzichten zu müssen, an der mein Herz hängt. Hat nicht schon Heine von der Vergebung Gottes gesagt: »C’est son metier«, das ist die »Branche Gottes«? Man kann sich die Gnade von ihm im Kundendienste liefern lassen. Auch die Kirche hat ihren Service.
Eben hier setzt nun die Warnung Gottes ein: Wer ohne das hochzeitliche Kleid kommt und wen die Tatsache, dass er so kommen darf, wie er ist, statt in die Demut in die Schamlosigkeit stürzt, wer sich, statt um Heiligung und Zucht bemüht zu sein, zu einem frivolen Spiel mit der göttlichen Gnade verführen lässt, der ist genauso schlimm dran wie die Leute, die überhaupt absagen, ja, die die Boten des Königs ermorden. Auch als Christ, nicht nur als Heide, kann man in die Finsternis gestürzt werden. Auch die Gnade Gottes kann uns noch zum Verhängnis werden. Darum steckt ein gewichtiger Sinn in der Sitte, dass man vor dem Gange zum Heiligen Abendmahl beichtet und verschiedene Dinge in Ordnung bringt. Das ist vergleichbar damit, dass wir das hochzeitliche Kleid anlegen. Aber auch in diesem schweren und nicht ohne Beklemmung zu denkenden Gedanken bricht noch die Botschaft der Freude durch. Und die soll das letzte sein, auf das wir heute achten wollen. Denn die Freude bleibt trotz allen dunklen und balladenhaften Stellen in unserem Gleichnis sein eigentliches Thema.
Wieso ist denn selbst das Bild vom hochzeitlichen Kleide eine Botschaft der Freude?
Wenn Jesus hier bildlich vom Sich-Heiligen und Sich-Bereiten spricht, dann versteht er darunter ja keineswegs finstere Bußübungen und quälende Entziehungskuren, sondern er gebraucht eben für alles dies das festliche Bild des hochzeitlichen Kleides, also das Bild der Freude. Wem ist es schon je als Opfer und Belastung erschienen, wenn er sich umziehen und festliche Kleider anlegen musste, um zu einem Fest zu gehen, nach dem er sich wochenlang sehnte? Dieses Sich-Anziehen und Sich- Bereiten gehört ja selbst schon zur Feier dazu und ist voller Freude und vorauseilenden Glanzes. Es ist die Freude der Braut, die wartet. Sie weiß ja, für wen sie sich schmückt. Das verleiht ihrem Schmücken Freude, auch wenn es Mühe macht. Das heißt nun ohne Bild und in aller praktischen Nüchternheit: Wenn ich mich um ein neues Verhältnis zu meinem Nächsten bemühe, wenn ich gegen den Sorgengeist in mir ankämpfe oder gegen die Wildheit meiner Phantasie oder gegen den Neid, dann ist das kein sauertöpfischer Rigorismus, sondern dann ist das Freude, weil ich weiß, für wen ich das tue, und weil die Freude des Himmels über einen Sünder, der Buße tut, einfach ansteckend und Freude stiftend auf diesen Bußakt des Sünders selbst wirkt. Buße ist ja nicht wehleidige Abkehr von Dingen, die mir etwas bedeuten, sondern fröhliche Heimkehr nach Hause, wo mir gewisse Dinge eben nichts mehr bedeuten.
Auch der verlorene Sohn jammert doch nicht darüber, dass er nun die interessante, ach so faszinierende Fremde, dass er das große Abenteuer seines Lebens verlassen muss. Sondern er sieht die erleuchteten Fenster seines Vaterhauses, in denen er heiß erwartet wird, und da wird ihm die Fremde zu einem dumpfen Traum, der hinter ihm versinkt.
Wie man es also anstellt, ein Christ zu werden, um in jenen erleuchteten, festlichen Saal, in jene Erfüllung unseres Lebens einzutreten?
Ich würde darauf antworten: Wir kommen nur so hinein, dass wir uns zunächst ganz einfach sagen lassen: Es gibt ein väterliches Herz über der Welt, das sich für mich interessiert, dem ich nicht zu kümmerlich und auch nicht zu schlecht bin und das mich aus der schrecklichen Einsamkeit und Fremde und Schuld meines Lebens herauslieben und ins Vaterhaus bringen möchte. Vielleicht antwortet darauf jemand: »Die Worte hör’ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube; das alles ist ja viel zu schön, um wahr zu sein« Es kann so etwas wie die Stimme des inneren Anstandes sein, die einen vor solchen Sirenenklängen auf der Hut sein lässt.
Jesus Christus würde das gewiss verstehen. Als einmal ein junger Mann (er ist als der »Reiche Jüngling« unter die klassischen Figuren der Christenheit aufgenommen worden) zu Jesus kam und ihm ebenfalls von seinem vergeblichen Bemühen berichtete, mit Gott in Frieden und ins Reine zu kommen, »sah ihn Jesus an und liebte ihn« (Mark. 10,21). Es ist. ein Trost, zu wissen, dass er um uns weiß und dass sein Blick auf uns ruht, auch wenn unser eigener suchender Blick hilflos umherlichtert. Er hat mich längst angesehen und liebgewonnen – gerade in meinem Zweifel.
Wenn jemand also zu redlich ist, um der Botschaft von der göttlichen Freude auf Anhieb Glauben zu schenken, wenn er Angst vor sich selber und einem Nachgeben aus Schwäche hat, dann sollte er wenigstens bereit sein, ein Experiment mit Jesus Christus zu machen. Das kann auch der Redlichste von sich verlangen. Selbst der zu härtestem Realismus entschlossene Naturwissenschaftler macht es ja so.
Darum gehe man einmal von der Arbeitshypothese aus, »als ob- etwas an diesem Jesus wäre und »als ob« jene Einladung an den Tisch des Königs tatsächlich existierte. Und nun wage er einmal, im Namen dieser Arbeitshypothese getrost und freudig in allem dem zu sein, was ihm heute und morgen begegnet, weil es ihm ja von einer höheren Hand zugedacht ist. Sprich einmal (hier kann ich nicht mehr anders, als in der »zweiten Person« zu reden) zu Gott über deine Schuld und über das, womit du in deinem Leben nicht fertig wirst, »als ob- es ihn gäbe. Gib einmal jenem Kollegen, der dir auf die Nerven geht, oder jener Mitbewohnerin deines Hauses, die dich schikaniert, ein gutes Wort, aber tue es in seinem Namen und Auftrag, »als ob- es ihn gäbe. Mach dieses Experiment einmal mit der »Arbeitshypothese Jesus«, und dann sieh zu, ob er schweigt oder ob er dir tatsächlich zeigt, dass du mit ihm rechnen darfst. Nur tue etwas.
Gott lässt sich nämlich nicht lumpen; und er hat gesagt, dass er den, der zu ihm komme, nicht hinausstoßen wolle. Aber man muss auch kommen und gegen ihn anstürmen und zusehen, ob sich da ein Widerstand bemerkbar macht.
Wie sollten wir das nicht einmal wagen? Es geht ja nicht um die faustische Suche nach einem Sinn und damit um die endlose Straße, sondern es geht um die Freude des Nach-Hause-Kommens. Man hat so viel vom Geheimnis des Christenstandes begriffen, wie man von seiner Freude begriffen hat. Und es ist nun gar nicht so, dass nur wir Menschen immer warteten und uns in Sehnsucht verzehrten. Auch ein anderer wartet auf uns, und er steht schon in der Tür, um uns entgegenzukommen.
Das tiefste Geheimnis der Welt besteht darin, dass Gott auf uns wartet, auf die Nahen und auf die Fernen, auf die Heimatlosen und auf die Bürger. Wer das begriffen hat, der ist der Seligkeit des königlichen Hochzeitsmahles nahe. Der steht schon im flutenden Lichte des festlichen Saales, auch wenn er noch mitten im finsteren Tale dahingeht. Der mag traurig sein und ist doch allezeit fröhlich, der mag arm sein und macht doch viele reich, der mag nichts innehaben und wird doch alles haben.